Gehrenspitze Westgrat



Statt den üblichen 10 Seillängen im VI / VII. Grad hat uns dieses Mal die Lust auf was leichtes, dafür etwas längeres gepackt. Mit 20 Seillängen II / III war der Westgrad der Gehrenspitze da genau das Richtige. Und so machten wir uns am Samstagabend auf ins östliche Ende vom Tannheimer Tal, genauer zur Hahnenkammbahn und von dort zur Gehrenalpe.

[zonoex url=”” title=”Start an der Bergstation der Hahnenkammbahn”]Gehrenspitze_0001.jpg[/zonoex]

[zonoex url=”” title=”Auf dem Höhenweg vorbei an Schneetalalm (mitte links) zur Gehrenalm (hinten rechts)”]Gehrenspitze_0002.jpg[/zonoex]

Die Gehrenalm

Dort verbrachten wir bei leckerem Essen ein kurzen Abend, bevor wir – ganz die vorbildlichen Alpinisten – kurz nach neun ins Bett gingen. Wir waren reichlich überrascht, als fast der gesamte Rest der sonstigen Anwesenden um 2 immer noch nicht im Bett war! Noch erstaunter waren wir über die Aussage des Wirtes, dass dies am Samstag so üblich sei. Aber dann wiederum ist die Gehrenalpe eben auch keine echte alpine Hütte, sondern eher ein leicht zu erreichendes Wanderziel – liegt sie doch mit 1610 Hm auf fast gleicher Höhe und in angenehmer Entfernung der Bergstation der Hahnenkammbahn.

[exzo url=”” title=”Allein auf der Stube in der ausgebuchten Hütte”]Gehrenspitze_0003.jpg[/exzo]

Wir ließen uns davon jedoch nicht stören und standen überraschend ausgeruht um halb sechs auf und freuten uns über ein reichhaltiges Vesper-Frühstück, welches uns die Hüttenwirte am Vorabend vorbereitet hatten. So gestärkt machten wir uns kurz nach sechs Uhr auf den Weg ins Gehrenjoch, um von dort den angekündigt schwer zu findenden Einstieg zum Westgrat zu suchen. Um uns die Suche zu erleichtern, kalibrierten wir hier unser Altimeter noch auf die bekannte Höhe der Hütte.

[exzo url=”” title=”Aufbruch…”]Gehrenspitze_0004.jpg[/exzo]
[zonoex url=”” title=”…bei Sonnenaufgang”]Gehrenspitze_0005.jpg[/zonoex]

Die Suche nach dem Einstieg

Zum Drehtor auf dem 1859 Meter hohen Gehrenjoch brauchten wir gute 40 Minuten. Wissend, dass der Einstieg auf der anderen Seite etwas tiefer liegen musste, querten wir die Wiese in Richtung Fels mit absteigender Tendenz. Auf der im Kletterführer angegebenen Zielhöhe von 1790 Hm konnten wir dann aber weder einen geeigneten Einstieg, geschweige denn einen Standplatz finden, wie er im Topo beschrieben war. Also suchten wir tapfer weiter, was uns nach einigem Abstieg hinter die vom Gehrenjoch sichtbare erste Rippe brachte. Dort fanden wir Felsstrukturen die schon eher nach einem kletterbaren Grat aussahen. Trotzdem konnten wir auch dort nach langer Suche keinen Standplatz ausfindig machen und beschlossen schließlich, den Grat einfach mal zu erklimmen, und hofften, dort dann schon auf die Route zu stoßen. Die Frage war nun also nur noch, wo.

[exzo url=”” title=”Begrüßung am Drehtor am Gehrenjoch”]Gehrenspitze_0006.jpg[/exzo]

Letztlich entschieden wir uns, den Grat von ganz unten, also ab dem ersten durchgängigen Stück Fels, zu erschließen. Nach 50 Klettermetern durch sehr brüchigen Fels fand ich schließlich einen mit Bandschlingen gelegten Standplatz am markanten Felskopf. Nachdem ich Thomas nachgeholt hatte, schauten wir uns um, konnten jedoch keinen Weg weiter finden. Auch nachdem wir uns auf der anderen Seite der Rippe 10 Meter abgeseilt hatten, konnten wir nicht erkennen, wo es weiter gehen könnte. Die Vermutung drängte sich auf, dass der Standplatz ein Resultat der Tatsache war, dass wir nicht die ersten waren, die dieses Vorspiel gewählt hatten. Also beschlossen wir schweren Herzens den gesicherten Standplatz zu nutzen, um uns abzuseilen und die Route abzubrechen – noch könnten wir auch eine andere Route zur Gehrenspitze nehmen…

[zonoex url=”” title=”Am Einstieg zum Vorspiel”]Gehrenspitze_0009.jpg[/zonoex]

[zonoex url=”” title=”Stand nach 50 Metern an Bandschlingen um kleinen Kopf”]Gehrenspitze_0010.jpg[/zonoex]

Unten angekommen trafen wir auf Markus und Andreas – zwei weitere Kletterer auf der Suche. Nachdem wir zusammen noch ein wenig debattiert hatten, hat Markus doch tatsächlich 10 Meter neben unserer Abseilroute den echten Einstieg gefunden. – Und den hätten wir von unserem Standplatz ostseitig querend und leicht absteigend wirklich leicht erreichen können!

Da wir wussten, dass die Route nach der Hälfte einen Notaustieg bietet, sollte uns die Zeit knapp werden, beschlossen wir, doch noch einzusteigen, und mal zu schauen, wie weit wir kommen. Zu diesem Zeitpunkt war es 12 Uhr – wir haben also Vom Gehrenjoch aus 5 Stunden damit verbracht, den Einstieg zu finden – deshalb im Folgenden nochmals eine Zusammenfassung des tatsächlichen Zustiegs.

[zonoex url=”” title=”Wünschenswertes Fähigkeitenportfolio für diesen Zustieg”]Gehrenspitze_0007.jpg[/zonoex]

Der Zustieg – Zusammenfassung

Vom Drehtor am Gehrenjoch aus links haltend, leicht abwärts über Gras und Geröllbänder zur Felswand queren. An einer kompakten, leicht überhängenden Wand vorbei weiter absteigen und danach einen Weg über die Rippe suchen. Dahinter auf die nächste Rippe zu halten – dies ist der Westgrad. Nun am Foto unten orientierend die Einstiegsrinne suchen, und dort einige Meter hinein kraxeln. Erstaunlich weit hinten, hinter einem Felsvorsprung versteckt sich dann tatsächlich auf 1790 Metern Höhe der erste Standplatz: Zwei Bohrhaken und eine leuchtend orangene Reepschnur. Der markante Felskopf an dem wir uns abgeseilt haben, ist von hier gut sichtbar. Markus hat auch noch ein Steinmännchen am Fuße der westlichen Seite der Rinne gebaut – vielleicht hält es ja dem Wetter eine Weile stand.

[zonoex url=”” title=”Erster Teil des Zustiegs (Bitte Entschuldigt die Qualität, die zwei Bilden waren nicht als Panorama gedacht)”]Gehrenspitze_Zustieg_0001.jpg[/zonoex]

[zonoex url=”” title=”Blick von der überhängenden Wand zurück auf das Gehrenjoch”]Gehrenspitze_Zustieg_0002.jpg[/zonoex]

[zonoex url=”” title=”Einstiegsrinne – unser Seil vom Vorspiel-Standplatz ist noch zu sehen”]Gehrenspitze_Zustieg_0003.jpg[/zonoex]

Der Westgrat

Einmal in der Tour ließen wir dann Andreas und Markus am ersten (und mit Abstand bequemsten) Standplatz vor, und kletterten entspannt hinterher. Dabei waren wir immer mal ganz froh, die beiden als Wegfinder vor uns zu haben, war es doch nicht immer trivial herauszufinden, wo es lang geht. Aber immer dem geringsten Widerstand folgend und im Zweifel hoch – schließlich klettern wir ja einen Grat – ging es in angenehm festem Fels über drei Seillängen (SL 2 bis 4) gut voran. Erwähnenswert ist das “mosige Köpfl” in der 4. SL, auf dem man hocken und ein spektakuläres Höhengefühl genießen kann.

[zonoex url=”” title=”Standplatz der 3. SL”]Gehrenspitze_0011.jpg[/zonoex]

Vom Standplatz der 4. SL geht es dann über die leicht bröckelige Umgehung des Gratturms auf einem schmalen Band (5.SL), zur ersten Schlüsselstelle, die Nordseitig begangen wird (6. SL). Mit UIAA IV- bewertet stellte sie für uns nur deshalb eine Herausforderung dar, weil wir die Tour nur mit Wanderschuhen gehen wollten. Zwar hatten wir die Kletterschuhe dabei, aber die wollten wir eigentlich nur ungern benutzen – unter anderem um einmal festzustellen, ob und wie gut, wir mit normalem Schuhwerk vorankommen.

[zonoex url=”” title=”In der Schlüsselstelle – mit Blick auf den umgangenen Gratturm”]Gehrenspitze_0013.jpg[/zonoex]

Nachdem Thomas die Stelle mit Leichtigkeit gemeistert hatte, ging es wieder leicht voran, zunächst rechts an einem kleinen Turm vorbei und gleich dahinter an festen Schuppen (dass die halten musste ich erstmal glauben! – aber sie halten) wieder rauf auf den Grat. Den größten Widerstand bot auf den folgenden Seillängen eigentlich nur das Seil: Einige Male war der Standplatz – ob gebohrt, oder an Zacken selbst gebaut – so hinter Kanten und Köpfen versteckt, dass der Seilzug nach 30 Klettermetern so stark war, dass man es nur zum Standplatz schaffte, indem man das Seil vorher an strategisch günstigen Stellen zwei Meter einholte und dann genau so weit weiter lief. Andererseits ist das bei einem maximalen Schwierigkeitsgrad von UIAA 3 auch nicht das Problem. Und oft genug – spätestens beim Abseilen, siehe unten – waren die 60 Meter Seil, die wir dabei hatten auch fast zu kurz. Außerdem hörten wir Markus und Andreas vor uns mehrfach, wie sie sich auf “noch 10”, “noch 5”, “noch 2 Meter” ihres 50-Meter-Seils aufmerksam machten.

[zonoex url=”” title=”Happy Climber”]Gehrenspitze_0014.jpg[/zonoex]

Aus beiden Gründen, Seilreibung, und Länge des Seils, sollte man übrigens nicht den Fehler machen, die 7. und 8. Seillänge zusammen zu begehen: Zwar leuchtet gut sichtbar schon der kleine, gemütlich aussehende Kessel mit Zacken für den Standplatz nach der 8. SL, aber ich habe es mit 60 Metern gerade nicht dahin geschafft, und musste Thomas dann doch sehr unbequem nachholen. Besser macht man am sehr eindeutigen und exponierten Zacken den Stand nach der 7. SL, und rastet danach im Kessel möglichst weit hinten. Denn als nächstes geht die 9. SL um zwei enge Ecken und durch einen engen Kamin zum nächsten Standplatz an der schon sichtbaren westlich ausgerichteten kleinen Platte. Der Kamin ist etwas athletisch, und vor allem mit Rucksack und Turnschuhen eine kleine Herausforderung. Aber auch hier hat sich Thomas weder von der Schwierigkeit, noch von der Seilreibung beirren lassen, und es locker zum Standplatz geschafft.

[exzo url=”” title=”Styled by Nature™ – Eine steife Brise macht das Klettern auf dem Grat so besonders würzig”]Gehrenspitze_0015.jpg[/exzo]

Was uns am meisten zu schaffen machte, war auf Dauer der Wind: Ohne war es zu warm in der Jacke, und mit war es auf Dauer zu kalt. Aber weil es auf dem Grat doch reichlich windig war, entschied sich sogar Thomas die Jacke anzubehalten, was auch der nicht zu vernachlässigenden Sonne weniger Angriffsfläche bot. Ein weiterer, nicht überraschender Effekt des Windes war, dass er an der Moral zehrte: Nach der langen Einstiegssuche und den zwei unversicherten Seillängen zu Beginn, zusammen mit der permanenten Exponiertheit auf dem Grat, und dem Wind, der jeden freihändigen Schritt wackelig machte, war ich nach 9 Seillängen ziemlich erschöpft – mental wie körperlich. Dazu kam, dass es inzwischen um 4 war, wie also seit gut 10 Stunden unterwegs waren, und ja noch zum Auto und nach Ulm wollten. Also beschlossen wir den Notausstieg zu suchen und zu nutzen: Er befindet sich in der zehnten Seillänge an zwei Schlingen – sichtbar vom ersten (geklebten) Bohrhaken nach dem Standplatz.

Der Abstieg

Vom Abseilpunkt aus seilten wir uns die vollen 60 Meter unseres Doppelseils auf eine Wiese ab. Von dort sind es nochmals 10 Meter leichtes Gehgelände zu einem Pfeiler am Ende der hochgezogenen Wiese, der mit einer Schlinge einen weiteren Abseilpunkt bietet. Hier geht es um eine Kante wiederum auf eine Steile Wiese, von der aus wir nach vorsichtigem Abstieg der letzten 20 Meter auf dem Weg des Gehrenjochs landeten. Dann liefen wir noch gut zwanzig Minuten zurück zur Hütte, die mit einer leckeren Brotzeit und zwei Radlern plus Schnaps geradezu nach uns rief.

[zonoex url=”” title=”Am ersten Abseil-Standplatz”]Gehrenspitze_0016.jpg[/zonoex]

[zonoex url=”” title=”Abseil-Route des Notaustiegs = Einsteig in die hinteren 10 Seillängen des Westgrates”]Gehrenspitze_Zustieg_0004.jpg[/zonoex]

Nach einer mehr als nötigen Rast machten wir uns an den finalen Abstieg von der Gehrenalpe hinunter nach Höfen. Diesen Abstieg hatten wir ein wenig unterschätzt: Zwar hätten wir ab der Hälfte auch über den breiten, sanfter abfallenden Forstweg laufen können, aber die Verlockung schneller am Auto zu sein, war doch zu groß. Also nahmen wir jede “Abkürzung” die wir finden konnten (DAV-Weg 417a) und liefen fast eineinhalb Stunden steil bergab durch den Wald – und mit jedem Meter wurde der Wind schwächer, und die Luft wärmer. Durch Höfen hindurch kam dann noch eine halbe Stunde gut ausgeschilderter Weg zur Seilbahn dazu, so dass wir schließlich kurz vor zehn am Auto waren.

[exzo url=”” title=”Wunden lecken an der Hütte”]Gehrenspitze_0018.jpg[/exzo]

Fazit

Und so endet ein weiteres Bergabendteuer. Nach einer extrem bröckligen Tour in Arco, ist das unser zweiter Abbruch. Die ausgedehnte Suche nach dem Einstieg und das gruslige Vorspiel hat doch mehr gekostet und wir mussten uns einfach eingestehen, dass wir für die zweite Hälfte der Tour nicht fit genug waren. Doch jetzt wo wir wissen wo der Einstieg ist, werden wir sicher wieder kommen!

Und auch wenn es natürlich traurig ist, dass wir die Tour nicht zu Ende machen konnten, gilt doch gerade am Berg das Leitmotto: Live to tell the tale.

[zonoex url=”” title=”Die zwei Seiten der Abbruchs-Medallie”]Gehrenspitze_0017.jpg[/zonoex]

[zonoex url=”” title=”Das Kelleschrofen-Panorama vom Gehrenjoch aus gesehen”]Gehrenspitze_0008.jpg[/zonoex]


2 Responses [Umgekehrte Reihenfolge]

  1. #181543
    2

    Hey Thomas,

    das freut uns und gratulation zum Solo!

    Gruß
    -tmb

  2. Thomas
    #179989
    1

    Bin heute, 29.Oktober 2016, den Gehrenspitze Westgrat solo gegangen.
    Wollte mich ganz herzlich bedanken für die Bilder vom Einstieg!
    Hätte ich ohne euch ewig gesucht.
    Vor allem an den kurzen Tagen momentan wäre ein Erfolg sehr fraglich geworden.
    Alles Gute für Euch und herzliche Grüße
    Thomas

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